Rad, Land, Fluss - Eine Sehnsuchtsreise entlang der Elbe

Rad, Land, Fluss - Eine Sehnsuchtsreise entlang der Elbe

[ Gekürzter Gastbeitrag aus »Rad, Land, Fluss« von Autorin Alexandra Schlüter ]


Ein Strom, der in Schleifen durch märchenhafte Auen fließt. Gänserufe und das Rascheln von Schilf. Die Elbe ist ein Sehnsuchtsort, einer der letzten über weite Strecken frei fließenden Flüsse Mitteleuropas.

Wie ich die Elbe entlangfuhr und meine Heimat neu entdeckte

Alexandra Schlüter ist mit dem Fahrrad unterwegs, um die Elbe zu erkunden, mehrere Wochen, allein, durch sieben Bundesländer. Stromaufwärts von der Mündung in Cuxhaven bis an die deutsch-tschechische Grenze. Auf dem Elberadweg durchquert sie die Marsch, sanfte Elbtalauen und das Elbsandsteingebirge, beobachtet Seeadler, Graureiher und Störche. Ihre Route führt durch idyllische Dörfer und geschichtsträchtige Städte wie Hamburg, Magdeburg und Dresden. Und sie begegnet den Menschen, die entlang der Elbe leben.

Rad, Land, Fluss - Eine Sehnsuchtsreise entlang der Elbe

Eine Stadt wie im Mittelaltermärchen

Tangermünde war bereits 1136 eine wichtige Elbzollstelle. Ich fahre durch eines der drei erhaltenen Stadttore und finde mich in einem Mittelaltermärchen wieder. Die Stadtmauer mit ihren Türmen, Toren und Wappen wurde Anfang des 14. Jahrhunderts gebaut, das Rathaus mit seiner 24 Meter hohen Schmuckfassade etwa hundert Jahre später. Auch nach Tangermünde, das auf einem Hochufer liegt, brachte die Elbe Wohlstand. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hinsehen soll. Das Fachwerk der Häuser aus dem 17. Jahrhundert ist kunstvoll geschnitzt und bemalt. Gesichter, Girlanden und ein galoppierendes Pferd sind aus den dunklen Balken herausgearbeitet. Die Altstadt der einstigen Hansestadt ist heute noch von einer trutzigen Mauer umgeben und erhält dadurch etwas Geborgenes.

Rad, Land, Fluss - Eine Sehnsuchtsreise entlang der Elbe
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Was für eine Überraschung ist diese Stadt und dann auch wieder nicht, wenn man sich etwas mit ihrer Geschichte beschäftigt. Kaiser Karl IV. machte Tangermünde von 1373 bis zu seinem Tod 1378, neben Prag, zu seiner Residenz. Ja, wirklich, der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, der dem Reich mit der Goldenen Bulle die erste Verfassung verlieh. Später residierten die Hohenzollern-Kurfürsten in Tangermünde, aber nur so lange, bis sich die Altmärker weigerten, ihre Biersteuer zu zahlen. Daraufhin verlegte Kurfürst Johann Cicero 1488 seinen Herrschaftssitz ins unbedeutende Cölln an der Spree, das im 18. Jahrhundert endgültig mit Berlin zusammenwuchs.


Eindrucksvolle Gotteshäuser künden vom einstigen Reichtum einer Stadt, so auch hier. In der St. Stephanskirche mit ihren Zwillingstürmen, von denen nur einer zu Ende gebaut wurde, ragen weiß und klar die Pfeiler zum Kreuzgewölbe empor. Die kostbare, 400 Jahre alte Scherer-Orgel überblickt mit mächtigen Pfeifen das Kirchenschiff.

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Staublappen mit Kreide - oder altmärkische Originale

Ich sitze in den Exempel-Gaststuben neben der Kirche. In dem Haus lebte der Kantor, es ist mit Liebe zum Detail restauriert und als Schulstube eingerichtet. Der Sandsteinboden im Eingangsbereich ist 250 Jahre alt. Vor allem aber hat das Gasthaus eine der originellsten Speisekarten, die ich kenne. Sie verknüpft die Geschichte Tangermündes mit altmärkischen Speisen, die es damals gab, und dem, was heute in der Region angebaut wird. Man kann Kuhschwanzbier, das ist Bio-Bier, schwarz oder hell, in den Maßeinheiten Quart oder Fuder bestellen. Oder Apfelsaft von Streuobstwiesen aus der Umgebung. Oder Staublappen mit Kreide, Pfannkuchen mit Apfelmus und Puderzucker, die nehme ich.


Was ich sonst noch aus der Speisekarte erfahre: dass es hier 1617 einen katastrophalen Stadtbrand gab, für den man Grete Minde die Schuld in die Schuhe schob. Sie wurde dafür auf dem Scheiterhaufen verbrannt; Theodor Fontane hat ihr Schicksal in einer Novelle verewigt. Dass 1618 der Dreißigjährige Krieg ausbrach und die Bewohner trotzdem begannen ihre Stadt wieder aufzubauen. Dass der Hafen auf die älteste deutsche Zuckerraffinerie zurückgeht, die 1826 gegründet wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts kam noch eine Schokoladenfabrik dazu.


Mit angezogenen Handbremsen rolle ich die ehemalige Rossfurt hinunter zur Elbe. Wie anstrengend es für die Arbeiter früher gewesen sein muss, mit ihren Fuhrwerken die Ware von den Kähnen den steilen Berg nach oben zu schleppen. Oder andersherum, das Getreide zu den Schiffsmühlen bergab zum Hafen zu transportieren, wo heute noch ein Kornspeicher steht.


„Was bedeutete die Elbe für Sie“, habe ich zwei ehrenamtlich tätige Damen in der Kirche gefragt. - „Ohne die Elbe wäre Tangermünde nicht die Stadt, die sie ist.“ Sie haben die Frage gar nicht erst auf sich selbst bezogen.

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Alte Sorten und wilde Rosen

Ich werde von Wiesen und hohen Bäumen wie alten Freunden empfangen. Ein Blick, bei dem ich alles andere vergesse, reicht in der Tanger-Elbniederung über Auwiesen und kleine Auwälder. Die runden Kuppen der Weiden, die geschwungene Form der Gewässer, die sanfte Neigung des Deichs, sie schmeicheln den Augen, umhüllen mich mit Harmonie. Unten am Fluss grasen Gänse, die seltene Trauerseeschwalbe hat in der Gegend ihr Brutgebiet. Das Naturschutzgebiet Bucher Brack-Bölsdorfer Haken zieht sich auf beiden Elbseiten entlang. Weit und breit ist kein Dorf zu sehen. Auf der Bucher Fährallee fahre ich vor zur Elbe. Früher setzten dort die Bauern zu ihren Äckern und Wiesen auf der anderen Stromseite über. Die Verbindung wurde Anfang der 1970er Jahre eingestellt, für die Anwohner war das bestimmt ein tiefer Einschnitt in ihrem Leben.


Eine Streuobstallee säumt die schmale Straße. Die Bäume tragen kleine Äpfel, aber es dauert noch ein paar Monate, bis man sie ernten kann. Darunter sind seltene alte Sorten wie die Altmärker Goldrenette und der Altmärker Brautapfel, einst Bestandteil eines Hochzeitsbrauchs, bei dem die Braut die Äpfel an die Dorfkinder verteilte. Zwischen den Bäumen blühen wilde Rosen, flattern weiße Schmetterlinge.

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Wolken, die Muster auf Himmel und Wasser tuschen

An der Elbe sitzt ein Ehepaar auf Klappstühlen neben seinem Auto. Sie lassen sich treiben, sind schon den dritten Tag an diesem Platz. In der Nähe haben sie eine kleine Bucht zum Baden entdeckt. Sie sehen aus, als wären sie der Elbe verfallen und wüssten gerade nicht, welcher Wochentag ist. Ein Lebensgefühl, das ich mit ihnen teile. Sie erzählen, dass der Flusspegel seit ihrer Ankunft jeden Tag gestiegen sei, und vermuten, dass es irgendwo stromaufwärts ziemlich stark regnet. Ich möchte sie nicht stören und fahre ein paar Buhnen weiter, dort suche ich mir meinen eigenen Elbeplatz. Eine Boje schaukelt auf dem Strom, das Wasser gluckst, wie immer, wenn es auf ein Hindernis stößt. Ich finde eine weiße Feder und eine Muschel, schreibe ein bisschen und träume der Elbe hinterher. Die Wolken tuschen ihr Muster auf Himmel und Wasser.


Ein Wiesenweg führt direkt am Fluss entlang, den nehme ich, auch wenn es sich auf Gras etwas anstrengender fährt. Elbe-Spitzkletten warten auf vorbeistreifende Tiere, an denen sich ihre Früchte festkletten können. So verbreiten sie sich. Schwalbenschwänze tanzen über einem Brennnesselmeer, Nahrung für ihre Raupen. Aus zwei Dörfern, Buch und Schelldorf, klingt Glockengeläut herüber.

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Zur Autorin:

Alexandra Schlüter schreibt als Sachbuchautorin über Natur- und Reisethemen. Im Stil des klassischen Nature Writing verbindet sie dabei oft persönliche Naturerlebnisse mit Wissenswertem über Flora und Fauna sowie kulturgeschichtlichen Themen. Ihre Reportagen erschienen unter anderem in der Süddeutsche Zeitung und in National Geographic. Sie veröffentlichte bereits sechs Bücher, in denen sie dazu inspiriert, selbst mit offenen Sinnen loszuziehen.

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RAD LAND FLUSS
TRAILER ZUM BUCH
Autorin: Alexandra Schlüter
Fotos: Manolo Ty
Prestel Verlag
gebunden, 240 Seiten, 150 farbige Abbildungen
26 Euro




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Fotos im Blogbeitrag: © Alexandra Schlüter | Cover: Manolo Ty