Ferienturm Poppenroth
Ein Haus mit 36 Quadratmetern? Klingt ja per se nicht allzu groß. Doch wenn sich die Fläche auch noch über vier Ebenen verteilt? Na, Halleluja! Löst womöglich schon alleine der Gedanken daran Schnappatmung aus. Bei meinem ersten Besuch im Sommer habe ich mich zugegebenermaßen ziemlich dämlich angestellt. Sogar den gewagten Versuch unternommen, die Treppen vorwärts hinunterzugehen. Wen es interessiert: keine gute Idee für Menschen mit wackeligen Knien. Dabei steht es schwarz auf weiß in Torstens' Tipps, wie man sich als Turmbewohner:in auf Zeit am besten verhält: rückwärtslaufen und ordentlich festhalten. Dann sollte - im besten Wortsinn! - nichts mehr schiefgehen als Gast einer ehemaligen Umspannstation in Poppenroth bei Bad Kissingen.
Vom Hauseingang bis zur Dachspitze mit Holz verkleidet, ist der Turm in dem kleinen Dorf am südlichen Rande der fränkischen Rhön schon von weitem zu sehen. Fenster in allen Varianten: rund, eckig, bodentief. Den schönsten Blick hat man übrigens durchs Bullauge in der Schlafetage. Nach dem Aufwachen einmal auf den Bauch drehen, Kopfkissen unters Kinn schieben und bei gutem Wetter bis zu den Ausläufern des Rhöner Naturparks gucken: im Herbst ein quietschbunter Blätterwald. Anfang 2019 hat der beneidenswert entspannte Gastgeber Torsten Straub den Stadtwerken Bad Kissingen das stillgelegte Trafotürmchen abgekauft. Doch seinen ursprünglichen Plan, den Turm als Lager zu nutzen, ziemlich schnell ad acta gelegt. Und stattdessen die trist-graue Umspannstation in vielen tausend Arbeitsstunden zu einem ziemlich coolen Ferienturm umgebaut.
Im Herbst 2021 will ich's nochmal wissen, buche mich für eine Übernachtung im fränkischen Tiny Tower ein. Ein ungemütlich kalter Oktoberabend. Und dann auch noch das Schlamassel, zu glauben, dass ich abends nach halb neun Uhr irgendwo noch eine warme Mahlzeit bekomme. So mitten auf dem Land. Pustekuchen! Das heimelige Ankommen lässt mich allen Frust vergessen. Hinter der Eingangstür bollert ein mollig-warmer Holzpellet-Ofen einladend vor sich. Im ersten Stock die senfgelbe Küche mit - wer hätte das gedacht! - richtig Platz zum Kochen und ein persönlicher, handgeschriebener Willkommensgruß. Treppen und Böden aus hellem Holz, Möbel in hyggelig-warmen Farben: hey, gemütlich ist's hier! Vorbei an der Gitarrensammlung des Gastgebers hangele ich mich vom Wohnzimmer hoch bis zum Schlafboden unterm Dach. Aufs Zähneputzen verzichte ich, denn 36 Quadratmeter fühlen sich plötzlich verdammt groß an, wenn das Bad im Erdgeschoss liegt. Durchs Dachfenster über mir sehe ich nur mehr den klaren Sternenhimmel. Bin dir heute ganz schön entgegengeklettert, was?
hiersein-Themen
haus
- Torsten zeigt, dass alter Bestand nicht abgerissen werden muss, wenn Kreativität und Mut zur Zweckentfremdung genug Raum gegeben werden
- Soweit möglich wurde die Umspannstation mit natürlichen Materialien umgebaut; die Fassade ist komplett mit unbehandeltem Holz verschalt, zur Dämmung des Turms kam Holzfaser zum Einsatz
- Recycling: aus einem Scheunenabriss 'rettete' der Gastgeber alte Fliesen und Holz, die er im Ferienturm wiederverwendet hat
- Einige der Möbelstücke stammen aus Scheunenfunden, vom Bauhof und Sperrmüll
- Der Umbau erfolgte in Eigenleistung und mit Unterstützung von Handwerkern aus der nahen Umgebung
natur
- In seinem Wohnhaus unweit vom Turm fängt Torsten in einer 7000 Liter Zisterne Regenwasser auf, mit dem auch die anfallende Wäsche der Gäste gewaschen wird
- Das Haupthaus wird mit Strom aus einer eigenen Photovoltaikanlage versorgt, der Turm mit 100% Ökostrom von Naturstrom
- Geheizt wird die Unterkunft mit einem Holzpellet-Ofen
- Mit der Bereitstellung von entsprechenden Behältern und Erläuterung im Info-Heft klärt der Gastgeber seine Gäste über die richtige Mülltrennung auf
- Seit 2014 betreibt Torsten eine eigene ökologische Imkerei in wesensgemäßer Haltung, die natürliche Verhaltensweisen von Bienen zulässt
- Auf seinem eigenen Grundstück unterhält der Gastgeber einen Selbstversorgergarten und hat sogar eigene Hühner - so wie sein Opa ihm das gezeigt hat
- Für Frühjahr 2022 ist ein naturnaher Garten geplant
und sonst so?
- Der Turm bietet Platz für maximal zwei Personen; für kleinere Kinder ist ein Aufenthalt wegen der steilen Treppen nicht geeignet
- Zur Grundfläche von 36 Quadratmetern gehört eine möblierte Terrasse am Hauseingang mit 12 Quadratmetern
- Im Erdgeschoss befindet sich das Bad mit Dusche/WC, in der Etage darüber die Küche mit Tisch & zwei Stühlen zum Essen & Arbeiten, im zweiten Stock das Wohnzimmer mit Sofa, Smart-TV & Soundsystem und im Dachgiebel das Schlafzimmer mit zwei (echt!) bequemen Matratzen auf einem Lattenrast
- Handtücher und Bettwäsche sind inklusive und werden wöchentlich gewechselt
- Gut zu wissen: Waschmaschine & Wäschetrockner sind vorhanden und können bei längeren Aufenthalten genutzt werden
- Zum Erkunden der Umgebung stehen Infomaterial und Reiseführer zur Verfügung - und zwei E-Bikes gegen eine Gebühr von 15 Euro pro Rad
- Bad Kissingen ist 10 Kilometer entfernt und bekannt für Reha- und Gesundheitstourismus; im 19. Jahrhundert war die fränkische Kleinstadt im Norden von Bayern ein beliebtes Sommerfrischeziel für den europäischen Hochadel
- Lust ein bisschen Belle-Epoque-Luft zu schnuppern? Dann einen Abstecher in den historischen Kurgarten von Bad Kissingen machen, dem ältesten Europas
- Seit 2021 ist Bad Kissingen UNESCO-Welterbe der »Great Spa Towns of Europe« neben so großen Namen wie Karlsbad, Vichy & Spa
- Angesagter Pop-up-Treffpunkt im Sommer: der Stadtstrand unter der Ludwigsbrücke mit lässigen Bars direkt an der Fränkischen Saale
- Und wer zum Abschluss noch ein Mitbringsel für zuhause sucht: vom Honig, über Pollen bis zum Haar-Shampoo bietet Torsten Gästen auch verschiedene Bienenprodukte aus der eigenen Imkerei an
Bilder
© Julia Straub